Gesundheitsrisiko Massentierhaltung

Mastanlage Bettina Stolze pixelio

In der industriellen Massentierhaltung werden riesige Mengen an Antibiotika eingesetzt, allein in Deutschland sind es ca. 1.700 Tonnen jährlich, fast sieben mal so viel wie in den Krankenhäusern. Insgesamt werden in der Humanmedizin in Deutschland jährlich 816 Tonnen Antibiotika verwendet. Der massive Einsatz von Antibiotika führt dazu, dass immer mehr Keime gegen immer weitere Antibiotika resistent werden, weil die Bakterien ständig neue Strategien entwickeln, um den Angriffen mit diesen Wirkstoffen zu widerstehen. Die Epidemiologin Dr. med. Angela Spelsberg, ärztliche Leiterin des Tumorzentrums Aachen e.V. hat im Auftrag der Bundestagsfraktion „Bündnis 90, die Grünen“ ein Gutachten erstellt mit dem Titel „Folgen des massenhaften Einsatzes von Antibiotika in Human- und Veterinärmedizin“. Wesentliche Aussagen dieses Gutachten sind:


Epidemiologische Daten zeigen eine weltweit zunehmende Verbreitung multiresistenter Erreger bei Mensch und Tier. Die antimikrobielle Resistenz muss heute als eines der wichtigsten Public Health Probleme angesehen werden. Es gibt zunehmend Warnungen, dass wir durch die ungebremste Zunahme der Resistenzentwicklung quasi vor einem postantibiotischen Zeitalter stehen. Es besteht zunehmende Gefahr, dass Infektionserkrankungen nicht mehr behandelt werden können. Etwa 10.000 bis 30.000 Menschen in Deutschland sterben jährlich an Infektionen, die oftmals durch multiresistente Keime verursacht werden. Besonders problematisch sind die so genannten Extended-Spectrum- Lactamase (ESBL)-bildenden Bakterien. Sie sind multiresistent und durch die unterschiedlichen Antibiotikagruppen kaum noch behandelbar. Vier bis acht Prozent der Bevölkerung tragen mittlerweile diese Keime in sich, somit sind etwa 6,4 Mio. Deutsche betroffen. Der Übertragungsweg ist neben dem direkten Kontakt zu den Tieren der Konsum von belasteten Lebensmitteln, insbesondere Fleisch. Beim Verzehr von rohem Fleisch gelangen die Keime in den Magen-Darm-Trakt und können ihre Resistenz-Genanteile auch auf andere Darmbakterienstämme übertragen.

Eine weitere antibiotikaresistente Gruppe sind die Methicillin-resistenten Staphylococcus-aureus (MRSA)-Keime. Sie kommen in fast jedem größeren Massentierhaltungs-Stall vor. Die ARD berichtete am 12.05.2013 in der Sendung „Antibiotika in der Tierhaltung“, dass in Krankenhäusern in letzter Zeit vermehrt ein multiresistenter Keim auftaucht, der sich unzweifelhaft in Tierställen entwickelt hat. Der MRSA vom Typ ST398 stammt ursprünglich vom Menschen und wurde auf Tiere übertragen. Zu diesem Zeitpunkt war er noch nicht multiresistent. Durch den massiven Einsatz von Antibiotika in der industriellen Tierhaltung haben die Staphylokokken verschiedene Resistenzen entwickelt und kehren nun zum Menschen zurück.

In der industriellen Tierzucht und Tiermast ist der Antibiotikaeinsatz längst die Regel, nicht mehr die Ausnahme. Untersuchungen in Hähnchenmastställen in Nordrhein-Westfalen konnten nachweisen, dass in über 90 Prozent der Bestände die Tiere Antibiotika erhielten, im Durchschnitt über eine Woche lang. Dazu muss man wissen, dass Masthähnchen nur eine Lebensdauer von rund fünf Wochen haben. 50 bis 70 Prozent der Schweineställe sind mit MRSA vom tierspezifischen Typ ST398 verseucht. 87 Prozent der Landwirte und Tierärzte, die in diesen Ställen arbeiten, sind bereits von diesem MRSA-Stamm besiedelt. Untersuchungen des Robert-Koch-Instituts haben gezeigt, dass im Auftauwasser tiefgekühlter Masthähnchen erhebliche Mengen der multiresistenten Keime vorlagen, etwa 30 Prozent der Proben waren positiv. Das Bundesinstitut für Risikobewertung fand MRSA sogar auf Frischfleisch. Sowohl Rind, Schwein, Geflügel als auch Lammfleisch waren belastet. Bei Putenfleisch waren 42 Prozent der Proben kontaminiert. Aus diesem Grund empfiehlt das Robert-Koch-Institut Geflügelfleisch nur noch mit Einmalhandschuhen zuzubereiten. Mit Tierkot, der als Dünger auf die Felder ausgebracht wird, können MRSA und ESBL auch auf Gemüse gelangen, da diese Erreger im Erdreich über Monate überdauern können.

In der Zusammenfassung ihres Gutachtens stellt die Epidemiologin Angela Spelsberg die Frage, „Was kann getan werden?“  Sie empfiehlt die Beendigung des massenhaften Einsatzes von Antibiotika bei gesunden Tieren als Hauptverursacher für die antimikrobielle Resistenz bei Mensch und Tier. Zur Beendigung der Massenmedikation von Tieren müsse die industrielle Tierhaltung mittelfristig überwunden werden.  Das Fazit des Gutachtens ist, dass die Vertretbarkeit der gegenwärtigen Bedingungen in der Tiermast dringend neu zu bewerten sei.

Antibiotikaresistenzen sind aber keineswegs nur ein Problem in Deutschland. Spiegel online informierte am 17. September 2013 unter der Überschrift „Wir stehen vor einer Katastrophe“ über einen Bericht der US-Seuchenschutzbehörde Centers for Disease Control and Prevention (CDC). Erstmalig hat die US-Regierung schätzen lassen, wie viele Menschen in den USA jedes Jahr an Infektionen mit Bakterien sterben, die gegen mehrere Antibiotika resistent sind. Der Bericht der CDC will auf das Problem zunehmender Antibiotikaresistenzen aufmerksam machen. Die Infektiologin Helen Boucher von der Tufts University umschrieb die Situation mit dem Satz „Wir stehen vor einer Katastrophe“. Die CDC betrachtet in ihrem Bericht die 17 bedenklichsten antibiotikaresistenten Bakterien. Allein in den USA infizieren sich mehr als 2 Mio. Menschen jahrlich mit diesen Erregern, mindestens 23.000 sterben daran. Die CDC schätzt, dass in den USA bis zur Hälfte der verschriebenen Antibiotika unnötig oder falsch eingesetzt werden. In der Tierzucht werden die Mittel auch vorbeugend genutzt oder mit dem Ziel, das Wachstum der Tiere zu fördern. Die Entwicklung von Resistenzen gegen Antibiotika kann in einem erschreckend schnellen Tempo geschehen.

Referenzen:

  • Dr. med. Angela Spelsberg: Folgen des massenhaften Einsatzes von Antibiotika in Human- und Veterinärmedizin; Gutachten im Auftrag der Bundestagsfraktion Bündnis 90/ Die Grünen, September 2013  
  • DasErste.de, 12.05.2013: Antibiotika in der Tierhaltung
  • SpiegelOnlne, 17.09.2013: „Wir stehen vor einer Katastrophe“

Autor: Dr. Hans-Günter Kugler