Vegetarische Ernährung bei verschiedenen Zivilisationskrankheiten I

 

Eine der sinnvollsten und wirksamsten Präventivmaßnahmen überhaupt 

Ernährungsabhängige Erkrankungen nehmen in allen modernen Industriestaaten und in vielen Entwicklungsländern weltweit zu und stehen in einem engen Zusammenhang mit dem „Western-Diet-Ernährungsstil“. Dieser ist gekennzeichnet durch eine hohe Zufuhr von tierischen Proteinen, Fetten und raffinierten Kohlenhydraten.

Übergewicht und Adipositas sind weltweit die Pandemie des neuen Jahrtausend. Nach Schätzungen der WHO beträgt die Zahl der Übergewichtigen rund 1 Mrd. Menschen. Die Zahl der Diabetiker liegt nach aktuellen Angaben der internationalen Diabetes-Föderation (IDF) bei fast 250 Millionen und damit weit höher als bisher angenommen. Ernährungsmedizinische Präventivmaßnahmen sind also bedeutender denn je.

Dabei ist die vegetarische Ernährung in hervorragender Weise geeignet, die Risiken für ernährungsabhängige Erkrankungen zu vermindern. Sie erfüllt sehr gut die aktuellen wissenschaftlichen Anforderungen an eine gesunderhaltende Ernährung, die lauten: erhöhter Verzehr pflanzlicher Lebensmittel, verminderter Verzehr tierischer Lebensmittel, höhere Zufuhr von Vollkornprodukten, Einschränkung von Auszugsmehlprodukten und raffinierten Produkten, geringerer Verzehr von Fett.
Neben rein medizinischen Aspekten gibt es noch weitere wichtige Argumente dafür Vegetarier zu werden. Im November 2006 hat die FAO unter dem Titel „Livestocks long shadow“ eine umfangreiche Dokumentation über die globalen ökologischen Folgen der Tierhaltung publiziert. Die Massenhaltung von Vieh hat einen Anteil von 18 Prozent CO2-Äquivalenten am Treibhauseffekt. Dieser Beitrag ist höher als der des gesamten Verkehrswesens weltweit. Die Tierhaltung ist auch verantwortlich für fast zwei Drittel der anthropogenen Ammoniakemissionen, die signifikant zu der Versauerung des Regens und zu einer Schädigung der Ökosysteme beitragen. Außerdem trägt die Massentierhaltung zu 65 Prozent zur Freisetzung der Stickoxide sowie zu 37 Prozent zur Emission anthropogenen Methans bei. Nach den Analysen der FAO ist die Tierhaltung der größte Verursacher der Wasserverschmutzung und bewirkt die Überdüngung von küstennahen Gewässer, die Entstehung von Todeszonen sowie die Zerstörung von Korallenriffen etc.

Aufgrund der von der FAO publizierten Fakten ist die Tierhaltung einer der zwei oder drei bedeutendsten Verursacher der größten Umweltprobleme. Die vegetarische Ernährung ist somit auch eine wirksame Maßnahme zum Umweltschutz.

Im Folgenden werden der Stellenwert und die Wirkmechanismen der vegetarischen Ernährung bei verschiedenen Zivilisationskrankheiten ausführlich dargestellt.

 

Herz-Kreislauf-Erkrankungen

Vegetarier haben im Vergleich zu Mischköstlern nicht nur ein niedrigeres Risiko, an KHK (Koronarer Herzkrankheit) zu versterben, sondern sie haben auch durchschnittlich ein geringeres Risiko für arterielle Hypertonie.
Die Ergebnisse der „CARDIA Study“ (Coronary Artery Risk Development in Young Adults) zeigen, dass die Inzidenz der arteriellen Hypertonie positiv mit dem Verzehr von rotem Fleisch und Fleischwaren korreliert. Vollkornprodukte, Obst und Nüsse hingegen wirken protektiv. Es ist noch nicht definitiv geklärt, weshalb der Blutdruck bei Vegetariern durchschnittlich niedriger ist als bei Fleischessern. Beeinflussende Faktoren könnten eine höhere Kalium- und Magnesiumaufnahme, ein niedrigerer BMI (Body Mass Index) und ein niedrigerer glykämischer Index der vegetarischen Kost sein.
Als Basisursache liegt dem ganz überwiegenden Teil der Herz-Kreislauf-Erkrankungen eine Arteriosklerose zu Grunde, die sich aus einer endothelialen Dysfunktion entwickelt.


Über verschiedene Wirkmechanismen kann die vegetarische Ernährung die Entstehung der Arteriosklerose verhindern oder zumindest vermindern:

Beispielsweise nehmen Vegetarier über die Nahrung meist weniger Cholesterin auf als Mischköstler – es sei denn, es werden sehr viele Milchprodukte und Eier gegessen. Außerdem führt der Verzehr pflanzlicher Proteine dazu, dass die endogene Cholesterinsynthese abnimmt. Dieser Effekt beruht auf Unterschieden in der Aminosäurenzusammensetzung pflanzlicher und tierischer Proteine. Pflanzliche Proteine enthalten durchschnittlich mehr nicht-essenzielle Aminosäuren wie Glycin, Alanin, Serin und Arginin. Diese bewirken eine verstärkte Glukagonsekretion. Glukagon erhöht in den Hepatozyten die cAMP-Spiegel. cAMP wiederum reguliert die Synthese der Enzyme herunter, die für die Lipogenese und Cholesterinsynthese erforderlich sind.

Traditionell werden pflanzliche Proteine im Vergleich zu tierischen Proteinen als ernährungsphysiologisch minderwertig eingestuft. Diese Einschätzung wurde aus Wachstumsstudien an Tieren abgeleitet. Allerdings haben die Tiere meist einen erheblich höheren Proteinbedarf pro Kilogramm Körpergewicht als der Mensch. Neuere Daten aus Humanernährungs-Untersuchungen zeigen eindeutig, dass durch eine geeignete Kombination pflanzlicher Proteine der Eiweißbedarf des Menschen sehr gut gedeckt werden kann. Beispielsweise ergänzen sich Getreideproteine, die eher lysinarm sind, sehr gut mit den Proteinen aus Hülsenfrüchten, die meist methioninarm sind. Über die Beeinflussung des Insulin-Glukagon-Verhältnisses hat der Verzehr pflanzlicher Proteine einen günstigen Effekt auf Risikofaktoren der Arteriosklerose. Mehrfach wurde nachgewiesen, dass der Verzehr von Sojaprotein sowohl das Gesamtcholesterin als auch das LDL- Cholesterin senkt.

Das oxidierte LDL ist ein wichtiger Risikofaktor für die Arteriosklerose. Chemisch modifizierte LDL-Partikel werden von Makrophagen aufgenommen, wodurch sich letztere in Schaumzellen verwandeln. Bei Vegetariern ist die Oxidationsstabilität der LDL-Partikel höher als bei Mischköstlern. Dies dürfte wesentlich auf die höhere antioxidative Kapazität des Blutserums zurückzuführen sein.
Dies gründet wiederum darauf, dass Vegetarier im Vergleich zu Mischköstlern sowohl erhöhte Mengen der Antioxidanzien Vitamin C und E sowie ein Vielfaches an verschiedenen sekundären Pflanzeninhaltsstoffen aufnehmen. In mehreren Studien wurde ein enger, umgekehrt proportionaler Zusammenhang zwischen der Aufnahme dieser sekundären Pflanzeninhaltsstoffe und dem Erkrankungsrisiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen nachgewiesen. Diese haben nicht nur einen antioxidativen Effekt, sondern auch antiinflammatorische Eigenschaften (hier z. B. Flavonoide, Phenolsäuren und Sulfide). Flavonoide z. B. vermindern die Aktivierung des Transkriptionsfaktors NF-Kappa-B und damit die Bildung proinflammatorischer Zytokine.
Neben freien Radikalen und einer Dyslipoproteinämie spielt die Entzündungskomponente bei der Entstehung der Arteriosklerose eine wichtige Rolle.
Statistische Untersuchungen im Rahmen der Nurses Health Study haben gezeigt, dass viel Zucker und Weißmehlprodukte sowie verarbeitete Fleischwaren die Entzündungssituation fördern. Der Verzicht auf Fleisch und Wurst beispielsweise vermindert über geringere Arachidonsäurekonzentrationen die Bildung entzündungsfördernder Prostaglandine, insbesondere PGE2. Die chronische „Low grade inflammation“ ist zugleich eng mit einer Insulinresistenz assoziiert.
Obst und Gemüse aus biologischem Anbau enthält dagegen häufig nennenswerte Mengen an Salicylsäure, die bekanntlich entzündungshemmend wirkt.
Weiterhin senkt ein hoher Verzehr von Obst und Gemüse das hochsensitive C-Reaktive-Protein (hsCRP), das inzwischen als etablierter Laborparameter zur Beurteilung des kardiovaskulären Risikos gilt. Bei langjährigen Vegetariern wurden demnach generell niedrigere hsCRP-Konzentrationen festgestellt als bei Mischköstlern.
Es gibt Hinweise aus Studien, dass auch eine höhere Zufuhr an Arginin die CRP-Konzentration vermindert. Arginin ist überdies bekanntlich die Ausgangssubstanz für die Bildung von Stickoxid, das für die Endothelfunktion und Gefäßregulation von zentraler Bedeutung ist. Gute Argininquellen sind Nüsse, die auch auf Grund ihres Fettsäurenmusters hervorragende kardioprotektive Nahrungsmittel sind. Mehrere Dutzend Studien haben belegt, dass Nussliebhaber ein geringeres Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen haben. Die amerikanische FDA empfiehlt, an vier bis fünf Tagen wöchentlich fünfzig Gramm Nüsse zu verzehren. Die Bundesforschungsanstalt für Ernährung rät, täglich eine Handvoll Nüsse zu essen.

Weitere eigenständige kardiovaskuläre Risikofaktoren sind:
Homocystein: entsteht als Zwischenprodukt aus Methionin, das seine Methyl-Gruppe überträgt, und wird innerhalb kurzer Zeit wieder zu Methionin umgebaut. Unter den an diesem Prozess beteiligten Vitaminen hat Folsäure die wichtigste Bedeutung. Sie übt damit einen endothelprotektiven Effekt aus. Darüber hinaus gibt es Hinweise, dass Folsäure mit verschiedenen freien Radikalen reagiert, so dass dieses Vitamin auch eine erhebliche antioxidative Kapazität besitzt. Leider ist die Folsäureversorgung in der Bevölkerung generell als kritisch einzustufen, Vegetarier haben aber eine höhere Folsäureaufnahme als Mischköstler.
Fibrinogen: Gerinnungsfaktor, erhöht bei Entzündungen. Bei Vegetariern findet man niedrigere Fibrinogen-Konzentrationen als bei Mischköstlern.
Copyright © 2008

Literatur beim Verfasser:
Dr. med. Hans-Günther Kugler
Ärztegesellschaft zur Förderung der
vegetarischen Ernährung,
Löwensteinstraße 9
D-97828 Marktheidenfeld-Michelrieth
www.diagnostisches-centrum.de

Veröffentlicht in:
PARACELSUS Heft Nr. 8/V Juni 2008